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22. August 2022
Zwei spezielle Bauprojekte werden das Areal rund um die Industriestrasse komplett verändern. Gelingt es, alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, könnte es zu einem Vorzeigemodell für den modernen Städtebau werden.

Von Ismail Osman

Ganz schön knifflig: Wie setzt man zwei aussergewöhnliche, auf engem Raum geplante Bauprojekte um, damit ein ins Quartier passender, attraktiver und nachhaltiger Lebensraum für alle entsteht? In Luzern stellt sich diese Fragen aktuell im Tribschen-Langensand-Quartier, konkret rund um die Industriestrasse. Dort sollen in den nächsten Jahren über 200 neue Wohnungen und mehr als 600 Arbeitsplätze entstehen. Feuerwehr und Zivilschutz, Tiefbauamt mit Strasseninspektorat und Stadtgrün, ewl­-Hauptsitz, Genossenschaftswohnungen, Pflegewohnungen, öffentliche Plätze – eine solche Konzentration von unterschiedlichen Nutzungen an einem Ort hat in Luzern Seltenheitswert. Die Rede ist von den beiden Grossprojekten der ewl Areal AG und der Kooperation Industriestrasse Luzern.

Titelbild: Im Zentrum des Geschehens: Quartiervereinspräsident Urs Cattani, Edina Kurjakovic von der Kooperation Industriestrasse Luzern (KIL) und Anja Kloth von der ewl Areal AG auf der Industriestrasse. Links der Strasse wird das KIL-Projekt realisiert, rechts das Projekt von Stadt, abl und ewl.

Von «Lücke im Quartier» zu «Schlüsselareal»

Wir treffen Urs Cattani, Präsident des Quartiervereins Tribschen-­Langensand. Er umschreibt den heutigen Charakter seines Quartiers so: «Kleingewerbe trifft hier auf Kulturschaffende, Menschen in Alterswohnungen auf Kantonsschülerinnen und -schüler. Soziale Einrichtungen wie die Gassechuchi haben hier ebenso Platz wie die Sportanlage des FC Kickers.» Der Schlüssel, sagt Cattani, liege in der Durchmischung. Innerhalb des Quartiers Tribschen-Langensand ist das Gebiet rund um die Industriestrasse jedoch ein Kuriosum. Es ist von alten Industriegebäuden und Schuppen mit Zwischennutzungen und Kiesplätzen geprägt. «Städtebauliches Vakuum», «wenig Identität», «eine Lücke im Quartier» – mit diesen Attributen wurde das Gebiet vor zehn Jahren in einem städtischen Dokument beschrieben. Im gleichen Papier wird aber auch von einem «Schlüsselareal» mit grossem Potenzial gesprochen.

Grösste Einflussmöglichkeit für Stadt

Das Potenzial ist für Sarah Grossenbacher offensichtlich. Die Co-Leiterin der Abteilung Stadtplanung der Stadt Luzern sagt: «Es handelt sich um das grösste zusammenhängende Gebiet im Stadtzentrum, bei welchem die Stadt mit eigenen Grundstücken auf die Quartierentwicklung einwirken kann.» Statt einer Lücke im Quartier stehe das Gebiet für eine hohe Dichte, eine gelungene Durchmischung von Wohnen und Arbeiten sowie für Experimentierfreude. Sie verweist dabei auf die 2012 angenommenen Initiativen «Für zahlbaren Wohnraum» und «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse», welche unter anderem als Grundlagen gedient haben.

Die politische Vorgeschichte des Areals geht allerdings noch weiter zurück: Anfang 2000 wurde dort ein «Technologie-­Zentrum» angestrebt, das vor allem die Ansiedlung von Firmen vorsah. «Die aktuelle Gebietsentwicklung steht vor diesem Hintergrund exemplarisch für einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung. Diese rückt die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus und eine aktive Bodenpolitik ins Zentrum», erklärt Grossenbacher. Mit den zwei Grossprojekten soll nun diese städtebauliche Vision umgesetzt werden.

Attraktiv werden für das ganze Quartier

Zeit, das Projekt der ewl Areal AG genauer unter die Lupe zu nehmen: Es ist derzeit eines der grössten, facettenreichsten, aber auch komplexesten Bauvorhaben in der Stadt Luzern. Der Gebäudekomplex soll unter anderem die dringend benötigte neue Heimat der städtischen Feuerwehr werden. Dringend weil: Das Gebäude an der Kleinmattstrasse war ursprünglich ein Tramdepot. Es entspricht in vielerlei Hinsicht nicht den heutigen hohen Anforderungen an ein Feuerwehrgebäude. Weiter sollen auf dem ewl-Areal auch ein Pflegezentrum und gemeinnützige Wohnungen sowie ein öffentliches Begegnungszentrum Platz finden. Zu diesem Zweck haben sich die Stadt Luzern, die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (abl) und ewl (Energie Wasser Luzern) zur ewl Areal AG zusammengetan.

Anja Kloth, Geschäftsführerin der ewl Areal AG, auf die Frage nach dem Ziel des Projekts: «Es soll Antwort darauf geben, wie im innerstädtischen Kontext ein urbanes, nachhaltiges, durchmischtes und gleichzeitig attraktives Areal entstehen kann.» So sollen etwa die Aussenflächen aufgewertet werden und zum Verweilen einladen. «Zudem sind für das Quartier eine Kindertagesstätte und eine arealübergreifende Mensa geplant», sagt Kloth und ergänzt: «Gemeinsam mit der Stadt und unseren Nachbarn wollen wir unsere Planungen optimal aufeinander abstimmen und dadurch eine möglichst positive Ausstrahlung für das ganze Quartier erzielen.»

Lust auf bunte Nachbarschaft

Edina Kurjakovic unterstützt Kloths Ausführungen. Kurjakovic amtet als Geschäftsleiterin der Kooperation Industriestrasse (KIL). Diese besteht aus fünf Baugenossenschaften und hat vor, direkt auf der anderen Seite der Industriestrasse 151 Wohnungen und verschiedene Gewerbeflächen zu realisieren. «Wir stellen uns einen breiten Mix vor. Ob Jung oder Alt, Singles, Paare oder Familien: Mit unserem Projekt sprechen wir Menschen an, die sich für genossenschaftliches Wohnen interessieren. Menschen, die das urbane Umfeld schätzen und Lust auf eine bunte Nachbarschaft haben», sagt die Geschäftsleiterin.

Eines der Ziele des Industrieareal-Projekts ist es, auf das gesamte Quartier belebend zu wirken. Dies etwa durch den geplanten Gemeinschaftsraum, der allen zur Verfügung stehen wird. Zudem soll eine Fuss-­ und Velowegverbindung realisiert werden. Die öffentlichen Plätze auf dem Areal laden zum Verweilen ein. «Wir haben schon in der Entwicklungszeit den Kontakt zum Quartier gesucht und versucht herauszufinden, welche Angebote gewünscht werden», fügt Kurjakovic an.

Hoffnungen und offene Fragen

Das sind spannende Aussagen. Also Friede, Freude, Eierkuchen, Quartiervereinspräsident Cattani? Er sagt, die Bemühungen der Projektinitianten würden im Quartier im Grundsatz als positiv bewertet, ebenso der Ausblick auf günstigen Wohnraum. Sorge bereite die intensive, teilweise sicherlich lärmige Bauzeit zwischen 2023 und 2028. «In diesen Jahren kommt sehr viel auf die Anwohnerschaft zu. Ich hoffe, dass sie in diesem Prozess abgeholt und begleitet wird.» Offen sei auch die Frage, was die neuen Überbauungen für den Betrieb der beliebten Bar 59 oder das Kulturschaffen im ehemaligen Käselager an der Industriestrasse bedeuteten.

Zentral sei zudem die Frage, ob die vielen neuen Nachbarinnen und Nachbarn den Quartiercharakter annehmen und weitertragen können, sagt Cattani. «Unsere Hoffnung ist es, dass die neue Siedlung mit den dazugehörigen Bewohnenden und Gewerbetreibenden die heutige Durchmischung des Tribschen-Langensand-Quartiers widerspiegeln wird.»

 

Stadt Luzern gemeinsam mit abl und ewl

Die Stadt Luzern, die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (abl) und ewl (Energie Wasser Luzern) wollen gemeinsam ein neues Sicherheits- und Dienstleistungszentrum samt Wohnungen realisieren. Auf dem zirka 20’000 Quadratmeter grossen Grundstück sind auch rund 80 abl-Wohnungen und ein Pflegezentrum der Viva Luzern AG vorgesehen. Etwa 60 neue Bäume werden gepflanzt und der unterirdische Allmendlibach wird teilweise freigelegt. Die Überbauung soll in Etappen zwischen 2024 und 2028 erfolgen. Die Investitionssumme liegt bei 200 bis 250 Mio. Franken. Eine Volksabstimmung ist für 2023 vorgesehen.

Zusammenschluss von Baugenossenschaften

Die Kooperation Industriestrasse Luzern realisiert auf ihrem 8700 Quadratmeter grossen Grundstück 151 Wohnungen (12’000 Quadratmeter Wohnfläche). Hinzu kommen rund 3000 Quadratmeter Gewerbe- und Dienstleistungsfläche. Die Kooperation besteht aus fünf Baugenossenschaften: abl, Baugenossenschaft Wohnwerk Luzern, Liberale Baugenossenschaft Luzern, Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse (GWI) und WOGENO Luzern. Das Projekt soll zwischen 2023 und 2026 realisiert werden und vier bestehende Bauten mit zehn Neubauten ergänzen. Die Kosten belaufen sich auf rund 97 Mio. Franken.

Weitere Informationen:
www.ewl-areal.ch
www.kooperation-industriestrasse.ch

Modellfoto
Das Karton-Modell zeigt die Anordnung der 14 Bauten des KIL-Projekts: vier bestehende und zehn neue Gebäude.
Visualisierung
Visualisierung des Projekts der ewl Areal AG: Ziel ist es, nachhaltig zu bauen und attraktive Räume zu schaffen.

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Stadtmagazin 3/2022