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7. Mai 2024
Für die Stadt Luzern hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine hohe Bedeutung. Neben den bewährten Betreuungsgutscheinen setzt die Stadt mit Qualitätsrichtlinien für Kitas (QRL Kitas) seit Anfang 2019 einen verstärkten Fokus auf die Qualitätsentwicklung. Die QRL Kitas sehen unter anderem vor, dass in jeder Kita mit Sitz in der Stadt Luzern mindestens eine Betreuungsperson über einen anerkannten Abschluss auf Tertiärniveau verfügen muss. Diese Qualitätsvorgabe wurde von einer Kita bis vor Bundesgericht angefochten. Im Urteil vom 8. März 2024 hält das Bundesgericht fest: Die Qualitätsvorgabe der Stadt Luzern stellt zwar einen leichten Eingriff in das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit dar, ist jedoch verhältnis- und verfassungsmässig.

Als erste Gemeinde in der Schweiz hat die Stadt Luzern vor 15 Jahren Betreuungsgutscheine eingeführt. Erstmals erhielten Eltern in Form von Betreuungsgutscheinen finanzielle Mittel von der öffentlichen Hand, um einen Betreuungsplatz in einer Kita nach Wahl bezahlen zu können. Diese Form der Subjektfinanzierung hat sich bewährt und wurde von zahlreichen Gemeinden übernommen. In den vergangenen Jahren entwickelte die Stadt das System Betreuungsgutscheine weiter und investierte verstärkt in die Qualitätsentwicklung. Seit dem 1. Januar 2019 sind die revidierten Qualitätsrichtlinien für Kitas (QRL Kitas) in Kraft. Die QRL Kitas sehen unter anderem vor, dass jede Kita mit Sitz in der Stadt Luzern mindestens eine ausgebildete Betreuungsperson mit einem anerkannten Abschluss auf Tertiärniveau beschäftigen muss (z. B. Sozialpädagogik HF oder Kindheitspädagogik HF). Bei 30 belegten Kita-Plätzen muss eine tertiär ausgebildete Betreuungsperson zu 100 Stellenprozent angestellt sein. Bei weniger oder mehr belegten Kita-Plätzen gilt das prozentuale Verhältnis. Für diese Regelung gilt eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2024 (Ziff. 3.2 Bst. b. QRL Kitas).

Mit diesen Qualitätsvorgaben war eine Kita nicht einverstanden. Ihr Einwand: Die Verpflichtung zur Einhaltung von Ziff. 3.2 Bst. b der QRL Kitas würde die Wirtschaftsfreiheit verletzten (Art. 27 BV). Die Stadt Luzern prüfte die Beschwerde und stellte fest, dass die Regelung rechtens sei und keinen übermässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstelle. Gegen diesen Entscheid liess die Kita vor dem Kantonsgericht Luzern eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Das abschlägige Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 1. Februar 2023 (7H 21 282 / 7H 21 283) wurde von der Kita an das Bundesgericht weitergezogen.

Beurteilung des Einwands der Kita durch das Bundesgericht

Zum Einwand der Kita hält das Bundesgericht fest: Eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit ist zulässig, wenn (a.) eine gesetzliche Grundlage für die Einschränkung besteht, (b.) die Einschränkung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist und (c.) das Verhältnismässigkeitsprinzip beachtet werde. Das Bundesgericht führt weiter aus: Die Verpflichtung, bei 30 belegten Kita-Plätzen eine Betreuungsperson mit anerkanntem Abschluss auf Tertiärniveau zu beschäftigen, betreffe zwar den Schutzbereich der Wirtschaftsfreiheit, der Eingriff könne jedoch nicht als schwer bezeichnet werden.

Das Bundesgericht begründet seinen Entscheid wie folgt:

  • Die QRL Kitas stützen sich auf das von der Legislative der Stadt Luzern erlassene Reglement über die familienergänzende Kinderbetreuung und Förderangebote vom 29. März 2012 (sRSL 5.4.2.3.3) und damit auf ein Gesetz (a.) im formellen Sinn. Die Stadt hat in ihrer Funktion als Bewilligungsbehörde die Kompetenz, mittels Ausführungsbestimmungen (Qualitätsrichtlinien) für eine einheitliche Rechtsanwendung zu sorgen.
  • Mit der Verpflichtung der Kitas zur Einhaltung der Qualitätsrichtlinien soll das Kindeswohl geschützt werden. Der Kindesschutz ist ein öffentliches Interesse (b.), das einen Grundrechtseingriff rechtfertigt.
  • Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (c.) setzt voraus, dass die Massnahme das geeignete Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels ist (Eignung), dass der Eingriff nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zwecks der Massnahme erforderlich ist (Erforderlichkeit) und dass zwischen Ziel und Mittel ein vernünftiges Verhältnis besteht (Zumutbarkeit). Verhältnismässigkeit bedeutet im vorliegenden Fall somit: Fundiertes, durch eine Ausbildung auf tertiärer Stufe erworbenes Wissen in den Bereichen Pädagogik, Führung, Unternehmensstruktur und -kultur kann zur Qualitätssicherung und -steigerung in Kindertagesstätten beitragen (Eignung). Die Qualitätsrichtlinien tragen zusammen mit anderen Massnahmen (bspw. Vorgaben zum Betreuungsschlüssel, Vorgaben zu den Räumlichkeiten usw.) zu einer Qualitätssteigerung einer Kindertagesstätte bei (Erforderlichkeit). Die Zumutbarkeit ist gegeben, weil die Kitas grundsätzlich frei entscheiden können, in welcher Funktion die tertiär ausgebildete Person eingesetzt werden soll (bspw. Leitung der Tagesstätte, Gruppenleitung, Planung, Betreuung, Koordination oder Organisation). Selbst wenn unter diesen Umständen die Beiträge der Eltern erhöht werden müssten, wirkt sich dies nicht zwingend auf die Nachfrage aus. Entscheidend für die Wahl einer Kindertagesstätte sind erfahrungsgemäss nicht primär die Kosten, sondern die Nähe zu Wohn- und Arbeitsort.

Das Bundesgericht stützt damit den vorangehenden Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, das die (leichte) Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit der Kita als gerechtfertigt und deren Verpflichtung zur Umsetzung der Qualitätsrichtlinien als verfassungsmässig erachtet hat. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen. (Urteil Bundesgericht 5A_198/2023 vom 8. März 2024).

Bedeutsamkeit Bundesgerichtsurteil für Kitalandschaft

Nur qualitativ gute Kindertagesstätten können kleine Kinder in ihrer Entwicklung angemessen unterstützen und fördern und dadurch die Eltern entlasten. Zahlreiche Studien zeigen auf, dass insbesondere gut ausgebildete Fachpersonen für eine hohe Betreuungsqualität in Kindertagesstätten zentral sind. Sie verfügen über das nötige Rüstzeug, um die Qualität der eigenen Arbeit sowie die Arbeit von weiteren Betreuenden zu beobachten und zu reflektieren. So können sich Kitas wissenschaftlich und fachlich fundiert weiterentwickeln. Die Stadt Luzern nimmt mit den Qualitätsrichtlinien für Kitas und mit der damit verbundenen Forderung, dass ab dem 1. Januar 2025 jede Kita mit Sitz in Luzern mindestens eine tertiär ausgebildete Betreuungsperson beschäftigen muss, schweizweit eine Vorreiterrolle ein. Die übrigen Schweizer Gemeinden und Kantone haben bisher gezögert, ihren Kitas betreffend die Ausbildung auf Tertiärniveau Qualitätsvorschriften zu machen, obwohl sie von deren Wirksamkeit überzeugt sind. Sie befürchten damit gegen den Kerngehalt der Wirtschaftsfreiheit zu verstossen. Dies dürfte sich mit dem wegweisenden Bundesgerichtsurteil ändern. Es darf damit gerechnet werden, dass weitere Gemeinden und Kantone der Stadt Luzern folgen und höhere Anforderungen an die Ausbildungen des Kitapersonals stellen werden. Damit wird im Interesse des Kindeswohl ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Qualität in den Kindertagesstätten der Schweiz gemacht.

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Urteil Bundesgericht tertiär Ausbildung Kita Medienmitteilung 07.05.2024 Download 0 Urteil Bundesgericht tertiär Ausbildung Kita Medienmitteilung 07.05.2024
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