Die Zusammenführung von Einwohner- und Bürgergemeinde Luzern erfolgte am 1. September 2000 – ein Reformschritt hin zu einer einheitlich organisierten Stadtverwaltung, der nun 25 Jahre zurückliegt. Insbesondere mit der Einrichtung der Sozialdirektion übernahm die Stadt jene Aufgaben, die zuvor in den Zuständigkeitsbereich der Bürgergemeinde fielen. Auch wenn der Eintrag auf unseren Ausweisdokumenten heute kaum mehr Gewicht hat, bestimmte die Bürgergemeinde lange Zeit über Lebensrealitäten in den Heimatorten – auch in Luzern.
Die Bürgergemeinde Luzern war über zweihundert Jahre Trägerin sozialer Verantwortung, die sich aus dem Heimatprinzip speiste: Wer Luzerner Bürger oder Bürgerin war – unabhängig davon, ob er oder sie noch in Luzern lebte – hatte Anspruch auf Unterstützung. Dieses Prinzip war tief in der eidgenössischen Geschichte verankert.
Die monopolisierte Verwaltung sah sich am Ende des 18. Jahrhunderts in einem Konflikt: Als die Helvetische Republik die alte Eidgenossenschaft durch ein einheitliches Repräsentativsystem ersetzte, trafen politische Reformen auf lokale Privilegienwahrung. Der Kompromiss fand sich in der Trennung in Einwohnergemeinde (Municipalgemeinde) und Bürgergemeinde. Erstere übernahm politische Aufgaben, letztere behielt die Kontrolle über das Gemeindegut und die soziale Fürsorge. Trotz dieser formalen Trennung blieb die tatsächliche Machtverteilung weitgehend unverändert. Die Kantonsverfassung von 1831 reagierte darauf mit der Dreiteilung des Luzerner Gemeindewesens in Korporationsgemeinde, Ortsbürgergemeinde und Einwohnergemeinde. Einen vierten Teil des Gemeinwesens bildeten die Kirchgemeinden. Die Ortsbürgergemeinde war fortan zuständig für das Bürgerrecht und die Armenpflege. Ihre Institutionen – etwa der Engere und der Grössere Armen- und Waisenrat – spiegelten diese Verantwortung wider. Die Korporationsgemeinde hingegen verwaltet (bis heute) Wälder, Alpliegenschaften und Fischenzen.
Im 19. Jahrhundert verschärften sich nicht nur die politischen, sondern auch die sozialen Herausforderungen. Die Binnenwanderung führte zu einer Zunahme der Bedürftigkeit in den Städten. Die Bürgergemeinde Luzern unterstützte jährlich hunderte von Armen – etwa mit Mietbeiträgen, Naturalien oder bei der Lehrstellenvermittlung. Häufig wurden Gesuche um Unterstützung mündlich vorgebracht, was den informellen Charakter der Hilfeleistungen unterstreicht. Neben punktueller Hilfe kam es auch zu Rückführungen in die jeweilige Heimatgemeinde – ein Mittel, um die lokale Armenlast zu begrenzen. Die moralische Bewertung der Bedürftigkeit war dabei allgegenwärtig. Wer unverschuldet in Not geraten war, erhielt leichter Unterstützung. 1860 lebten noch 59% der Schweizerinnen und Schweizer in ihren Heimatgemeinden, ein halbes Jahrhundert später waren es 34%.
Mit dem Bundesgesetz von 1891 wurde erstmals das Wohnortsprinzip eingeführt – zunächst für Vormundschaftsangelegenheiten, später auch für die Armenpflege. Die Bürgergemeinde Luzern musste nun auch jene unterstützen, die in Luzern lebten, ohne hier heimatberechtigt zu sein. 1923 ermöglichte ein neues Gesetz Kantonsbürgern und -bürgerinnen nach 20 Jahren das Ortsbürgerrecht ihres Wohnsitzes kostenlos zu erwerben, was zu einem deutlichen Anstieg an Luzerner Bürgerinnen und Bürgern führte.
Ab 1926 führte die Ortsbürgergemeinde Luzern eine Armensteuer ein, da die Erträge aus dem Gemeindevermögen nicht mehr ausreichten. Damit wurde nicht nur die Versorgung Bedürftiger verbessert, sondern auch die soziale Verantwortung ausgeweitet. Der Bau von Heimen für Frauen (1918), Männer (1925), Pflegebedürftige (1955) und ältere Menschen (1964) zeugt von diesem Engagement. Mit der Einführung der AHV im Jahr 1948 wurde die Bürgergemeinde in der Armenpflege entlastet. Zugleich entwickelte sie sich zu einer immer bedeutenderen Arbeitgeberin und sozialer Akteurin in Luzern.
Ab den 1960er-Jahren sah sich die Bürgergemeinde Luzern mit wachsenden sozialen Herausforderungen konfrontiert – etwa durch den weiter steigenden Anteil älterer Menschen. Sie reagierte mit einem Bauprogramm, finanziert durch Landverkäufe und Fondsabtretungen. Obwohl das Gemeindegesetz von 1962 ihre Zuständigkeit auf die Armenfürsorge beschränkte, wuchs in den 1970er-Jahren der Druck, sich auch in neuen sozialen Problemfeldern einzubringen. Die Bürgergemeinde unterstützte daraufhin Projekte wie die Notschlafstelle für Jugendliche, das Frauenhaus und das kantonale Drogenkonzept. Mit dem Sozialhilfegesetz von 1991 wurde sie zur Sozialgemeinde erklärt – ein Schritt, der den Wandel von reaktiver Hilfe zu aktivem Einsatz markierte.
Trotz oder wegen ihrer sozialen Rolle begleitete die Frage einer Vereinigung von Bürger- und Einwohnergemeinde die Geschichte der Bürgergemeinde Luzern über Jahrzehnte hinweg. Bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg und erneut 1967 wurden entsprechende Forderungen laut. 1982 wies der Grosse Bürgerrat eine Motion der POCH (Progressive Organisation der Schweiz) deutlich zurück und auch eine Initiative der Unabhängigen Frauenliste scheiterte 1990 an der Urne. 1997 griff die Liberale Partei das Anliegen erneut auf und lancierte eine weitere Volksinitiative. Die Bürgergemeinde rief alle stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt zu Urne. Sie votierten bei der Abstimmung Ende November 1998 mit 75 % Zustimmung für die Fusion.
Mit dem 1. September 2000 erhielt die Stadt Luzern eine neu strukturierte Verwaltung sowie neu organisierte Behörden. Gleichzeitig trat die revidierte Gemeindeordnung in Kraft, die unter anderem die Einführung einer Sozialdirektion vorsah. Diese übernahm fortan Aufgaben, die zuvor primär von der Bürgergemeinde wahrgenommen worden waren. Der Grosse Bürgerrat und der Bürgerrat, das Legislativ- und das Exekutivorgan der Bürgergemeinde, wurden aufgelöst und deren Aufgaben dem Grossen Stadtrat bzw. dem Stadtrat übertragen. Die Neuausrichtung stand unter dem Leitgedanken, Luzern verstärkt zu einer Stadt für alle zu machen – für Jung und Alt, für Begüterte und weniger Begüterte, für Einheimische und Zugewanderte.
Die Umsetzung der Verwaltungsreform «Neue Stadt Luzern» war professionell organisiert: Projektgruppen, regelmässige Informationsbroschüren und eine feierliche Eröffnung für alle Mitarbeitenden markierten den Übergang. So begann im September vor 25 Jahren ein neues Kapitel in der Geschichte der Stadt Luzern – mit einer modernen Verwaltungsstruktur und einer klaren sozialen Ausrichtung. Die Akten des Bürgergemeinde-Archivs wurden ins Stadtarchiv übernommen, über mehrere Jahre hinweg aufgearbeitet und inhaltlich erschlossen.
Doch damit war der Wandel keineswegs abgeschlossen: Schritt für Schritt entwickelte sich Luzern weiter, passte sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen an und gestaltete ihre sozialen Aufgaben zunehmend professioneller und flexibler. Mit der Gründung der Viva Luzern AG im Jahr 2015 wurde die Betreuung älterer Menschen in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft überführt. Die Stadt Luzern blieb Eigentümerin und damit Trägerin der sozialen Verantwortung seit nunmehr 10 Jahren. Von den Heimen verblieb die Kinder- und Jugendsiedlung Utenberg bei der Stadt.
Publikationshinweise:
- Volkhard Scheunpflug, «Ich bitte Sie, Hochgeehrte Herren, das Herz auf zu tun»: 200 Jahre Bürgergemeinde Luzern, Luzern 1998.
- Robert Blaser, Aus der Geschichte der Ortsbürgergemeinde Luzern, Luzern im Wandel der Zeiten, Heft 12 (Alte Folge), 1959.
- «Fürsorge», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS)
- «Luzern (Gemeinde)», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS)