Von Robert Bossart
Bild oben: Viva-Luzern-Geschäftsführerin Andrea Wanner (links) und Sozial- und Sicherheitsdirektorin Melanie Setz im Gespräch im Viva Luzern Eichhof.
Interview
Melanie Setz, wie möchten Sie alt werden?
Melanie Setz: Als Erstes erhoffe ich mir, dass bis dahin die Altersversorgung überhaupt noch sichergestellt ist, daran arbeiten wir tagtäglich, das ist mein Antrieb. Ich kann mir gut vorstellen, in einem Alterszentrum zu wohnen: In einer Gemeinschaft mit anderen Menschen, kombiniert mit privaten Rückzugsmöglichkeiten.
Die Altersversorgung hat ihre Wurzeln in der früheren «Armenfürsorge». Welche Aspekte davon sind heute noch spürbar?
Andrea Wanner: Heute geht es generell darum, uns um die ältere Bevölkerung zu kümmern. Die Betreuung hat sich aber schon verändert, so waren in den Neunzigerjahren oft Sechserzimmer im Angebot. Heute sind es Einzelzimmer. Die Ansprüche und der Standard haben sich stark gewandelt.
Melanie Setz: Trotz alledem unterstützen wir immer noch Menschen im Alter finanziell, die nur wenig eigene Mittel zur Verfügung haben. Wichtig finde ich, den Menschen die Entscheidung selbst zu überlassen, wo sie alt werden möchten. Dies darf nicht abhängig sein vom Portemonnaie.
Welche Herausforderungen stellen sich durch die Zunahme von älteren und hochaltrigen Menschen in der Stadt Luzern?
Melanie Setz: Jede fünfte Person in Luzern ist über 65 Jahre alt, das ist beachtlich. Zwar hat sich dieser Anteil in den letzten 30 Jahren nicht gross verändert, jedoch ist klar, dass er in nächster Zeit zunehmen wird. Zudem sind wir heute länger alt als früher. 1950 gab es keine Menschen, die älter als 100 Jahre waren. Heute ist die Situation vielschichtiger – viele Hochbetagte sind fit bis zu ihrem Tod. Andere hingegen sind während 30 Jahren pflegebedürftig.
Andrea Wanner: Unsere Angebote haben sich bereits verändert und werden sich weiter den Gegebenheiten anpassen. Die Aufenthaltsdauer in einem Alterszentrum hat von früher fünf bis sechs Jahren auf rund eineinhalb Jahre im Durchschnitt abgenommen. Menschen leben länger in den eigenen vier Wänden und kommen dann in einem sehr hohen Alter mit verschiedenen Krankheiten zu uns. Deshalb bauen wir etwa das Angebot Wohnen mit Services aus und bieten mehr Spezialisierungen an. Eine Folge des stetigen Älterwerdens der Bevölkerung ist die Zunahme an Demenzerkrankungen.
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Andrea Wanner: Wir verfügen in vier von unseren fünf Zentren bereits über spezifische Demenzwohnbereiche. Dieses Angebot bauen wir gemäss der kantonalen Demenzstrategie aus. Eine Herausforderung stellt die Alterspsychiatrie dar: Wir haben vermehrt Menschen, die an psychischen Problemen leiden, häufig kombiniert mit einer Suchterkrankung. Darauf müssen wir uns einstellen. Dafür braucht es vor allem gut ausgebildetes Personal. Daran mangelt es heute schon.
Welche Lösungsansätze gibt es gegen den Fachkräftemangel?
Andrea Wanner: Der akute und über Jahre andauernde Mangel an Personal ist tatsächlich eines der grössten Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben. Wir bilden deshalb seit Jahren konsequent viele Lernende aus, bieten Quer- und Wiedereinsteigerinnen attraktive Möglichkeiten.
Melanie Setz: Der Stadt Luzern sind attraktive Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal ein grosses Anliegen und sie unterstützt Massnahmen auch finanziell.
Eine der grössten Sorgen der älteren Bevölkerung ist die Wohnsituation. Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum.
Melanie Setz: Ein schwieriges Thema nicht nur für alte Menschen. Wir haben generell einen akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Luzern.
Andrea Wanner: Es gibt Beispiele, bei denen etwa eine ältere Person ihr Haus für die jüngere Generation zur Verfügung stellen will, sie aber keine bezahlbare Wohnung findet.
Melanie Setz: Wenn wir genügend Wohnraum hätten, könnte diese Person in eine kleinere Wohnung umziehen. Dieser Thematik ist sich der Stadtrat sehr bewusst, und sie muss im Rahmen der gesamten Wohnraumstrategie betrachtet werden.
Andrea Wanner: Es ist einiges im Gange, etwa das Areal Staffelntäli, ein Projekt, bei dem auch Wohnungen für ältere Menschen gebaut werden. Viva Luzern hat zudem ihre Strategie angepasst und bietet beispielsweise im Dreilindenareal neu ab Frühsommer 2026 kleine Einheiten mit Services an. Die Menschen wohnen in ihren vier Wänden, können aber je nach Bedarf die Angebote des Alterszentrums in Anspruch nehmen.
Warum wollen die meisten Menschen nicht in ein Alterszentrum?
Andrea Wanner: Wir haben immer noch dieses Heim-Image. Davon müssen wir wegkommen, auch davon, dass es um 8 Uhr Frühstück, um 11.30 Uhr Mittag- und um 17.15 Uhr Abendessen gibt. Die alten Menschen von heute und morgen sind sich gewohnt, selbstbestimmt zu leben. Dem tragen wir bereits heute Rechnung und entwickeln uns weiter in diese Richtung.
Melanie Setz: Ich bin wie anfangs erwähnt eine Anhängerin von Alterszentren und sehe viele Chancen. Aber statt als Heim müssen diese mehr als soziale Zentren, wo sich alle Generationen treffen, verstanden werden.
Andrea Wanner: Unser Weg geht klar in diese Richtung: weg vom Heim, hin zur Idee des gemeinschaftlichen Zusammenwohnens.
Sehr geschätzt werden die Angebote zur sozialen Teilhabe wie etwa Mittagstische oder Nachbarschaftshilfe. Wie geht es in diesem Bereich weiter?
Melanie Setz: Da ist in den letzten Jahren viel Aufbauarbeit geleistet worden. Die Fachstelle Alter spielt dabei eine wichtige Rolle, es gibt aber auch die Seniorinnen- und Seniorenuniversität, die Lesetandems mit Kindern, das Nachbarschaftsnetzwerk Vicino und vieles mehr. Ein nächster Schritt könnte sein, auch aufsuchende Betreuung anzubieten, also Menschen, die nicht mehr nach draussen können oder möchten, zu Hause zu besuchen.
Heute gibt es eine Vielzahl von Pflege- und Betreuungsangeboten. Wie wollen Sie die Zusammenarbeit weiterentwickeln?
Melanie Setz: Die Koordination, die früher ein Hausarzt oder eine Hausärztin übernommen hat, fehlt heute oftmals. Nicht selten sind es die Angehörigen, welche die Fäden in den Händen halten. Die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Anbietenden müssen verbessert werden, hier unterstützt auch die Digitalisierung.
Andrea Wanner: Wenn zum Beispiel Frau Meier zu Hause mit der Spitex betreut wurde und dann zu uns kommt, muss sie ihre ganze Krankengeschichte neu aufrollen. Da gibt es Brüche, die wir verhindern müssen. Es geht darum, vernetzter und koordinierter vorzugehen. Deshalb intensivieren wir beispielsweise die Zusammenarbeit von Viva Luzern und der Spitex Stadt Luzern.
Melanie Setz: Generell geht es darum, die Angebote so weiterzuentwickeln, dass sie auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Da denke ich etwa auch an Menschen mit Migrationshintergrund, welche die Angebote der Altersbetreuung noch wenig in Anspruch nehmen und vieles über private Netzwerke abgedeckt wird, was für Angehörige sehr belastend sein kann. Und sicher ist es zentral, dass wir uns weiterhin an der zunehmend individualisierten Bevölkerung ausrichten und dieser gesellschaftlichen Entwicklung auch in der Betreuung und Pflege im Alter gerecht werden.
Ein paar Daten
Vom «Altersasyl» zum «Alterszentrum»
Im Mittelalter wurden ältere Menschen, wenn sie arm oder krank und ohne Angehörige waren, im «Altersasyl» des Spitals gepflegt. Das Spital zum Heiligen Geist befand sich bis Mitte 17. Jahrhundert in der Kleinstadt, beim heutigen Regierungsgebäude, ab 1655 bis 1902 an der Obergrundstrasse.
Gemeinde in die Pflicht
Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die provisorische Organisation der Gemeinden wurde 1798 neben der Einwohner- die Ortsbürgergemeinde ins Leben gerufen. Sie übernahm zunehmend die Verantwortung für soziale Institutionen und Dienstleistungen – ab 1891 nicht mehr nur für ihre Ortsbürger, sondern für alle Einwohnenden.
Fusion
1964 erfolgte die Umbenennung der Orts- in Bürgergemeinde, gleichzeitig wurde die Alterssiedlung Eichhof eröffnet. Es folgten weitere Betagtenzentren. Ab 2000, nach der Fusion von Bürger- und Einwohnergemeinde, wurde die städtische Dienstabteilung Heime und Alterssiedlungen geschaffen.
Viva Luzern AG
Um flexibler reagieren zu können, wurden die Betagtenzentren 2015 aus der Stadtverwaltung ausgelagert und in die Viva Luzern AG übergeführt. Die AG gehört zu 100 Prozent der Stadt Luzern. Heute ist Viva Luzern mit rund 900 Bewohnenden die grösste Leistungserbringerin für Langzeitpflege in der Zentralschweiz. Zudem gibt es in der Stadt acht private Pflegeheime mit rund 440 Plätzen.