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10. November 2025
Rita Haldi, Edi Müller und André Stutz organisieren seit 25 Jahren im «Ochsen» in Littau den Volksjass. Jetzt geben sie ihr Amt ab. Im «Stadtmagazin» sprechen sie über den Reiz des Spiels und wie sie zu ¢vergifteten Jassern¤ wurden.

Von Helen Iten

Die Mundwinkel zeigen gegen unten, auch nicht vorhandene Bärte werden glatt gestrichen. Doch ganz so ernst ist es nicht: «Jassen sollte Freude machen», sagt Rita Haldi, Co-Organisatorin und ehemalige «Ochsen»-Wirtin. «Ich habe schon Leute rausgeworfen, die zu verbissen waren.» Im Gasthaus «Ochsen» in Littau wird an diesem Montagabend im Oktober der Differenzler gejasst. 50 Jassbegeisterte haben sich für das Turnier eingefunden. Sie nehmen im Saal Platz, der für die Vereine des wachsenden Dorfes Ende des vorletzten Jahrhunderts gebaut wurde: für Theateraufführungen, Maskenbälle und Generalversammlungen.

Auf dem Gabentisch locken Rotwein, Bier, Billette für den Zoo oder Gutscheine für die Zentralbahn. Doch die Preise haben nicht oberste Priorität. «Gibt es etwas Schöneres, als mit lieben Menschen gemütlich zusammenzusitzen?», fragt Rita Haldi. Rita Haldi, Edi Müller und André Stutz, drei selbsternannte «vergiftete Jasser», organisieren zum 48. und letzten Mal den Differenzler-Volksjass für die Sektion Luzern-Littau des Eidgenössischen Differenzler Jass Verbands. Wäre die Coronapandemie nicht gewesen, wäre es der 50ste. «Wir gehen alle auf die 80 Jahre zu. Da muss man einfach aufhören», sagt André Stutz.

Der Volksjass des Eidgenössischen Differenzler Jass Verbands Sektion Luzern-Littau findet zweimal pro Jahr im Gasthaus «Ochsen» in Littau statt. 48 Austragungen (ohne Corona wären es deren 50 geworden!) haben Edi Müller, Rita Haldi und André Stutz (von links) organisiert.

Ausgeben, ansagen, übertrumpfen

Die Stimmung im Saal kann man nicht anders beschreiben als friedlich. Hier wird weder gebechert noch auf den Tisch gehauen. Es wird nicht gepoltert, politisiert und auch nicht geschmollt. Zu hören ist ein Murmeln, leises Lachen. Es wird gerechnet. «Kopfrechnen war schon immer meine Stärke», sagt dazu ein 67-jähriger Teilnehmer aus Luzern. Sein Gegenüber übertrumpft ihn mit der Aussage: «92 ansagen und 92 machen, das ist Können. » Voilà (siehe weiter unten «Differenzler einfach erklärt»)!

Beim näheren Studium erkennt man, dass der Triumph oder Frust eines Spielzuges für die Uneingeweihte und Nichtjasserin einzig daran zu erkennen ist, mit welchem Schwung die Karte gelegt wird. Es ist eine Finesse in der Bewegung des Handgelenks, leicht zu übersehen, die diesen verrät – und doch hat dabei jeder seinen eigenen Stil. Eine scheint zu sagen: «Da ist mein Ass.» Ein anderer schlicht: «So.» Es ist eine Frage der Persönlichkeit.

Von Generation zu Generation

Jassen will von Grund auf gelernt sein. Der Sprung vom Tschau-Sepp zum Trumpf-Buur kam für die drei OK-Mitglieder schon vor der Einschulung. «Mein Vater arbeitete Schicht in der Papierfabrik», erzählt Rita Haldi. Aufgewachsen ist sie in Perlen. «Er hat es mir beigebracht.» Da war sie sechs Jahre alt. «Wir hatten keinen Fernseher, und da gab es an verregneten Sonntagen nichts anderes zu tun, als zu spielen.»

Das Jassen hat sie auch ihren Kindern weitergegeben. Ihre eine Tochter pflegte die Buschauffeure an der Endstation herauszufordern. «Die mussten dort sowieso zehn Minuten warten», Rita Haldi zuckt mit den Schultern. «Ich durfte – oder musste – mit den Grossen mitjassen, wenn jemand fehlte», berichtet Edi Müller. «Wenn ich gut gejasst hatte, bekam ich als Belohnung einen Zuckermocken. Dann war ich glücklich.» Das Spiel habe bis in die frühen Morgenstunden dauern können. Die Bauern seien danach direkt in den Stall, die Arbeiter zur nächsten Schicht. «Das war eine schöne, eine andere Welt», sagt er. André Stutz erinnert sich: «Die Frauen jassten in der normalen Stube, die Männer in der Sonntagsstube.» Er, der Metzgerssohn, sei «als Kartenständer» eingesetzt worden, wenn ein Mann fehlte. «So habe ich das Jassen erlernt.»

Chnorzige Anfänge

1976 beginnt Rita Haldi im «Ochsen» zu wirten. Zusammen mit ihrem Ehemann Heinz übernehmen sie die Wirtschaft, die seinen Eltern gehörte. «Ich habe mit alteingesessenen Jassern angefangen», erzählt sie. «Fehlte einer am Tisch, musste ich als Wirtin mitmachen.» Sonst, so drohten die Männer, würden sie in eine andere Beiz weiterziehen. «So jasste ich mit den ·Chnorzi-Cheibe›, bis ein Gast dazukam und ich mich endlich wieder um meine drei kleinen Kinder und die Arbeit kümmern konnte.» Heinz Haldi sei derweil zwölf Stunden am Tag in der Küche gestanden. «Wir haben alles selbst gemacht», erinnert sie sich.

«Es ist Aufgabe des Wirts, den Jass anzureissen», erklärt Edi Müller. «Sobald ein Gast kommt, geht der Wirt, der Gast übernimmt.» Das sei die ungeschriebene Regel. Eine andere laute: Eine gute Wirtin ist da, wo das Personal lange bleibt. «Die Hälfte meiner Mitarbeiter kommt noch heute mit mir auf Reisen», sagt Rita Haldi. Damit ist auch das geklärt.

Es wird weniger gejasst

30 Jahre lang waren die Haldis auf dem «Ochsen». Nicht nur Jassende, das ganze Dorf wurde bewirtet. Auch die angeheiterten Freunde des Sohnes, die nachts vor dem Fenster nach «Rita!» riefen, bis sie ihnen eine «Stange» ausschenkte. «Wir hatten wirklich eine gute Zeit», sagt sie. Früher sei in den Gasthäusern der Umgebung an mindestens drei bis vier Tischen gejasst worden. Oft waren dies die Mitarbeitenden des Stahlwerks von Moos oder der Textilfabrik Viscosi. «Das Jassen geht zurück», stellt Rita Haldi fest. «Es spielen nicht mehr viele und die meisten Beizen sind am Nachmittag geschlossen. Die Leute dünken mich gestresster und sie haben kaum Zeit, sich in einem Verein einzubringen.»

Ein Blick in die Turnierrunde zeigt: Vorwiegend sind es Männer über 60, nur vereinzelt greifen jüngere zu den Karten. Zum Beispiel der 38-jährige Rolf Lindauer aus Lauerz (SZ): «Ich habe das Jassen von meinen Eltern gelernt und mit meinen Grosseltern gespielt», sagt er. «Es ist ein guter Zeitvertreib.» Und es hat die eine oder andere Frau, wie Heidi Erni, 73, aus Sempach: «Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, war eines von sieben Kindern. Im Winter hatte mein Vater Zeit zum Jassen.»

100-jährig und alle Karten im Kopf

Auch wenn über den Tisch hinweg ständig kommuniziert wird, muss nicht viel gesagt werden. Ein wertschätzendes Nicken, ein gutmütiges Necken, dann das Kopfrechnen. «Meine Mutter hatte bis 100-jährig alle Karten im Kopf. Keine konnte das so wie sie», sagt Rita Haldi. Und somit wäre auch das geklärt.

Weitere Informationen

Differenzler einfach erklärt
Vorteil: Man kann auch mit schlechten Karten gewinnen. Nachteil: Es ist nicht ganz einfach. Alle Teilnehmenden schätzen, wie viele Punkte sie erspielen. Die Person mit dem kleinsten Total an Differenzpunkten gewinnt. Wer es genauer wissen will: www.jassverzeichnis.ch
Im «Ochsen» war Pascal Betschart aus Römerswil am besten, vor David Lindauer aus Steinen undKaspar Huber aus Honau.

Gasthaus «Ochsen»
Das Traditionsgasthaus ist bald 500 Jahre alt. Der Gasthof am Littauer Dorfplatz wurde wohl Mitte des 16. Jahrhunderts gebaut und hiess schlicht «Die Herberge». Pilger aus dem Entlebuch kehrten auf ihrer Wallfahrt nach Einsiedeln dort ein. 1807 brannte es bis auf seine Grundmauern nieder, wurde aber rasch wieder aufgebaut. Als die Gemeinde Littau Ende des 19. Jahrhunderts stark wuchs, wurde ein grosser Saal angebaut, um den Vereinen Platz für Theateraufführungen, Maskenbälle und Generalversammlungen zu geben.

Familienbetrieb
1944 übernahm Familie Haldi das Gasthaus und führte es über drei Generationen. Als Irène und Roli Haldi den Betrieb im Jahr 2023 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mussten, drohte die endgültige Schliessung des «Ochsen». Um diese abzuwenden, wurde die «Baugenossenschaft Am Dorfplatz» gegründet. Die Genossenschaft kaufte das Anwesen und fand mit Gastgeberin Anja Waltenspül und Pächter Pius Suter ein neues «Ochsen»-Team.

 

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Stadtmagazin 4/2025